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Jetset oder Jetlag

Wilkommen zu meinem ganz persönlichen Blog.
Unregelmäßig und ungefiltert geht es hier um das Große und Ganze. Und um das Banale.  

Ist ja kein Beinbruch!

Was ich aus der Fraktur meines 5. Mittelfußknochens gelernt habe.



Der Unfall passiert nach unserem Halloween-Training meiner Voltigiergruppe. Wie passend gruselig. Ein falscher Schritt im Dunklen, ein Knacksen, Schmerz im Fuß. Es ist erstaunlich, wie schnell mir eines klar ist: Heute Abend verbringe ich in der Unfallambulanz. Weniger als eine Sekunde hat das gedauert. Und das, obwohl ich dann erst noch weiter die Sachen vom Pferd wegräume, Corry, mein Pferd, selbst auch versorgt werden muss, und schon wegen der Voltigierkinder Drama unangebracht wäre.



Verdrängung. Also auf ins AKH. Europas größtes, mit auch modernstes, Krankenhaus. Mit unfallchirurgischer Versorgung rund um die Uhr. Auf die ebenfalls hervorragende Versorgung durch Rettungsdienste verzichte ich, und fahre noch selbst zum Währinger Gürtel. Und ich liefere vorher sogar noch, wie üblich, meine Co-Trainerin Nadine am Floridsdorfer Bahnhof ab. Es ist ja kein Umweg. Und ich denke mir: So schlimm wird’s doch nicht sein. Das Außenband ist vielleicht beleidigt. Ich übernehme zu gerne diese Laiendiagnose eines Bekannten. Worte wie „Schiene“, „Gips“ oder „Operation“ blende ich rasch aus. Es ist spannend, wie rasch hier ein psychisches Fichtennadelschaumbad eingelassen werden kann.



Krisenmanagement. Staubtrocken und sachlich wird dieses Bad jäh ausgelassen. „Der Fuß ist gebrochen“, verkündet die Ärztin rund eine Stunde nachdem ich, gefühlt, durch das halbe riesige Spitalsgebäude gehumpelt bin. Meine erste Reaktion: „Nicht wahr?!“ „Um diese Uhrzeit mache ich keine Scherze!“ – Es ist kurz nach acht am Abend, wann macht die Frau Doktor dann Scherze? Und, was heißt das jetzt? Nun, es bedeutet Spaltgips für mindestens eine Woche. Immerhin keine Operation, der Bruch ist nicht verschoben. Erstaunlich, befinde ich still, nach allem, was ich seither getan habe. Nach Hause bringt mich jetzt doch der Rettungsdienst. Mein Auto holt eine wirklich gute Freundin aus dem bevorstehenden Parkverbot am Gürtel, und bringt es in meinen Heimatbezirk.



Leben auf „Krücken“. Als ich vor einigen Jahren hierher nach Ottakring gezogen bin, vierter Stock, Dachgeschoß-Maisonette, kein Aufzug, sagte ich mir „Bein solltest Du dir keines brechen!“. Nun ja, es ist ja kein Beinbruch. Und man wächst mit seinen Aufgaben. Ich jedenfalls lerne sehr schnell, die Unterarm-Gehhilfen (Der Begriff „Krücken“ ist scheinbar nicht „woke“) richtig einzusetzen. Im AKH drücken sie Dir die Dinger in die Hand, Einschulung gibt es keine. Aber es helfen mir YouTube-Tutorials. Das Wichtigste aber: Ich lerne, kleinste Wege gut zu planen. Ein Beispiel: Am Weg ins Bad nehme ich das Kaffeehäferl bis zum Küchentisch mit. Von dort dann, das nächste Mal am Weg zum Eiskasten, weiter bis zur Kaffeemaschine. Und so weiter. Meistens im Sitzen, reiche ich die Dinge von Platz zu Platz in meiner kleinen Wohnung. Ich taufe dieses System „Relaisstationen“.



Nöte und Tugenden. Viel bewegen soll ich mich eh nicht. Auch das verrät mir im Spital niemand, sondern der Schmerz im Fuß. Und immer mehr die Muskeln, die ich offenbar nie so wirklich gebraucht habe. Oberarme, Brust, rechter Oberschenkel. Ich träume daher von einem völlig neuen Adonis-Körper nach dieser Tortur. Apropos Körper, der will ja trotzdem gewaschen werden. Lifehack 1: Aus Müllsäcken und Frischhaltefolie lässt sich ein passabler Schutz für das Gipsbein basteln. Sowas gibt es aber auch deutlich anwendungsfreundlicher als „Wasserdichter Gipsschutz“ zu kaufen. Lifehack 2: Eine Badewannenablage dient wunderbar auch als Hilfe, das schützenswerte Bein hochzulegen. Beides kommt per Lieferdiensten, ebenso alle nötigen Einkäufe. Hat die Pandemie endlich was Gutes! Fast alles bekommt man heute von irgendwem heraufgetragen. Sogar die Thrombosespritzen. Und, fast alle Boten vergessen ihren Grant auf den vierten Stock, wenn sie einen in der Tür an Krücken erblicken. Karma-Tipp: Hier ist etwas Trinkgeld gut angelegt.

 



Stilfrage. Einmal in der Woche steht ein Ausflug auf dem Programm. Kontrollbesuche im AKH. Während der Heimtransport dort organisiert wird, muss ich den Hintransport selbst in die Hände nehmen. Besser gesagt meine Hausärztin. Anruf genügt allerdings. Doch nun taucht ein neues Problemchen auf. Was trägt man zu so einem Anlass? Immerhin hat einen die Welt seit einer Woche nicht gesehen! Nennt mich eitel, aber die Jogginghose, die im Wechsel mit einer Bermuda zu Hause reicht, würde mir mein innerer Lagerfeld nicht verzeihen, ICH habe mein Leben im Griff! Eine ältere Jean muss dran glauben! Ich schneide sie an der Innenseite auf, so dass das Gipsbein hindurch passt. Sicherheitsnadeln schließen sie wieder, so gut es eben geht. Erst Wochen später stelle ich fest, dass Anzughosen weit genug geschnitten sind.



Umgangsformen. Für Patienten ist der Besuch auf 6B, Unfallambulanz Nachbehandlung, eine Ausnahmesituation. Für das Team dort, Alltag. Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie im Gipszimmer. Immerhin bemühen sich die beiden Urgesteine dort, die einem Murnbergerfilm entsprungen scheinen, so zu tun als ob sie sich für einen interessieren. Zwei jüngere lerne ich kennen, denen ich das sogar glaube. Allen gemein, auch den Damen an den Schaltern und beim Röntgen, ist meine Hochachtung und zugleich schelmische Ansprache. Nur die Ärzte verscheuchen meinen Humor jedes Mal. Ihren tödlich gelangweilten „wannistgleichAbschlagamGolfplatz“-Blick verzeihe ich ihnen trotzdem. Sechs Jahre dauerte ihr Studium, mindestens, um hier Akkordarbeit nach vorgegebenen Schemen zu verrichten. Das ist nicht schön.



Und jetzt? Nach nur drei Wochen kommt der, bunte, Gips runter. Die geschieht mit einer Art Trennscheibe, mit der die Murnberger-Brüder aber routiniert umgehen. „Das kitzelt, gö?“ meint einer beim Schnitt entlang meiner Fußsohle. Nein, ich hoffe nur, nicht gleich wieder gegenüber in der Unfall-Erstversorgung zu landen. Wie schon vor zwei Wochen, als ich am Spitals-WC mit meinen Unterarmgehilfen ausrutschte. Und voll auf dem frischen, bunten Gips knallte. Ich trage nun wieder zwei Schuhe, und darf gehen. Wortwörtlich. Zuvor ein letzter Besuch beim Arzt, Blick auf die Röntgenbilder. Ich erkenne keinen Unterschied zu den ersten, und protokolliert wird auch „Frakturspalt noch deutlich sichtbar.“ Ich höre aber auch „doch, da sieht man, dass das schon zusammenwächst.“ Sechs Jahre Studium …      



Epilog. Ich soll in drei Wochen wiederkommen, wenn ich glaube, dass das nötig ist. Wars das jetzt? Zwei Wochen Sportkarenz, Vitamin D und Kalzium werden mir noch Empfohlen. Letzteres wusste ich schon, dank Dr. Google. Wilde Tanzeinlagen verbietet mir meine Wehleidigkeit soundso. Ich komme auch nach einer Woche, und vorsichtigen Dehnübungen, nicht wie gewohnt die Treppen runter. Meinen Traum vom Adonis-Körper habe ich begraben. Er wird zu einer Art Quasimodo-Albtraum mit verkürzter Wade und steifen Gelenken. Lymphdrainagen und Physiotherapie verordnet mir meine Hausärztin. Sie hat auch 6 Jahre studiert. Sie golft aber, glaube ich, nicht.            





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